Auf einem Auge blind

Die Genfer Firma Addax Bioenergy baut in Sierra Leone grossflächig Zuckerrohr für Biotreibstoffe an. Das Projekt scheint vorbildlich in Fragen der Ökologie - soziale Nachhaltigkeit ist laut der Zivilgesellschaft jedoch nicht vorhanden.

 

Addax Bioenergy baut in Sierra Leone auf 10'000 Hektar Zuckerrohr an, gesamthaft hat sie 57'000 Hektar Land gepachtet - in etwa die Fläche des gesamten Bodensees. Das daraus gewonnene Bio-Ethanol fliesst nach Europa, ein kleiner Teil des Stroms wird ins Netz des afrikanischen Landes eingespeist. Das "Makeni Projekt" schafft Jobs und Energie und hat auch eine Fläche von 4'300 Hektaren für Reisplantagen und Schutzzonen für Biodiversität reserviert. Die Welternährungsorganisation (FAO) nennt das Projekt "vorbildlich in sozio-ökonomischen Fragen", die Regierung von Sierra Leone ein "Musterprojekt". Von Seiten der NGOS hingegen klingen nur die weniger freundlichen Worte "Landgrabbing" und "Greenwashing" durch - und allen voran: "Neokolonialismus".

"Anstelle des Kolonialismus ist Neokolonialismus zum wichtigsten Instrument der imperialistischen Staaten geworden", schreibt Kwame Nkrumah, von 1960 bis 1966 Präsident von Ghana. "Durch Neokolonialismus wird fremdes Kapital für die Ausbeutung, statt für die Entwicklung unterentwickelter Länder eingesetzt. So wächst die Schere zwischen den armen und den reichen Ländern der Welt." Topografisch liegen zwischen Ghana und Sierra Leone die kriegsgeplagten Länder Elfenbeinküste und Liberia - die Distanz zwischen den Ideen des Politikwissenschaftlers Nkrumah und denjenigen des Sierra Leonischen Präsidenten Ernest Koroma ist jedoch um einiges grösser. 

Vom Generalstaatsanwalt..

Rund 500'000 Hektar Land hat Sierra Leone bereits an ausländische Investoren verpachtet. Das Land hat sich von einem heftigen Bürgerkrieg mit Beteiligung des liberianischen Warlords Charles Taylor zu erholen und nach Ansicht des Staates ist der beste Weg, dies zu tun, die grossen Brüder der Industrienationen ins Land einzuladen. Ganz nach der Losung: Kommt Kapital, kommt Rat. Die Entwicklungsbanken der Welt sind gleicher Meinung und haben für Addax bei der Finanzierung des Makeni Projekt tief in die Taschen gegriffen und über die Hälfte des Kapitals eingeschossen. Mit dabei die afrikanische Entwicklungsbank, die durch das SECO der Schweiz mitgetragen wird. 

"Wir freuen uns bereits heute auf die vielfältigen Vorteile, die dieses Projekt nicht nur den Menschen in der Gegend rund um Makeni, sondern dem gesamten Land bringen wird", sagte Landwirtschaftsminister Dr. Joseph Sam Sesay anlässlich der Grunsteinlegungszeremonie. Dem Baubeginn gingen die Ausarbeitung der Pachtverträge und Verhandlungen mit den Landbesitzern voran. Da diese in vielen Fällen Analphabeten und mit der Technokratie des industriellen Rechtsstaates nur wenig vertraut sind, stellte Addax ihnen einen Juristen zur Seite. Die Wahl fiel auf einen der damaligen Berater des Präsidenten: Franklyn Kargbo, heutiger Justizminister und Generalstaatsanwalt, spezialisiert auf Pachtverträge. Er beriet die Landbesitzer in ihren Anliegen, bevor sie die Verträge unterschrieben - viele mit einem Daumenabdruck. 

..bis zum kritischen Journalisten

Addax hat auch andere prominente Landbewohner ins Projekt miteinbezogen: Stanley Bangura, ein früher Kritiker des Projektes und ehemaliger Regionalvorsitzender der Sierra Leone Association of Journalists (SLAJ) übernahm für Addax die Rolle des Medienberaters. Das Regionalbüro der SLAJ in Makeni wurde so zum Startpunkt für Pressebesuche des Addax-Projektes. Andere Journalisten kritisieren seinen Wechsel hart und bezeichnen ihn als "Verkauf für einen 600$-Job.. Neben Bangura arbeiten momentan rund 1500 Menschen aus der Region für Addax - zwei Drittel davon nur mit befristeten Verträgen. "Früher haben unsere erwachsenen Söhne und Töchter noch auf dem Feld helfen können. Jetzt arbeiten sie alle bei Addax, und wir wissen nicht mehr, wie wir unsere Äcker bestellen sollen", sagt Brima Serry, Dorfchef von Lungi Acre gegenüber NDR Info. Während Lungi Acre mit einem Mangel an Feldarbeitern zu kämpfen hat, bestehen die Probleme in anderen Dörfern aus dem Gegenteil: Keine Arbeit, keine Felder, keine Nahrung. 

Nach einer Abgabe an Staat und Stammesverwalter bleiben den Landbesitzern von den Pachtverträgen maximal 3.20 $ pro Are und Jahr - nach Angaben des Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF) reicht das nicht aus, um im Zentrum der Region eine Mahlzeit zu erstehen. Obwohl Addax eine Schule für lokale Bauern betreibt, klagen viele über Hungerprobleme, die sich seit der Ankunft von Addax intensiviert hätten. "Nun habe ich keine Farm mehr. Menschen hier verhungern", sagte ein Dorfbewohner der Region Makeni gegenüber der kanadischen Journalistin Joan Baxter an einer von SiLNoRF einberufenen Bauernkonferenz. "Wir müssen Reis einkaufen, da wir ihn nicht mehr selbst anbauen können." 

Addax war sich dieser Problematik wohl bewusst, immerhin gibt es das "Farmer Development Program", das den Bauern moderne Landwirtschaft beibringen sollte. Obwohl auf Fotos von Addax dutzende Absolventen der Schule in die Kamera strahlen, sei der Nutzen des Programmes gering, meint Abass J. Kamara, SiLNoRF-Koordinator. "Die Bauern erhalten nur kleine Landflächen und Addax lehrt sie Landwirtschaft mit Pestiziden und Düngermitteln. Diese können sie sich aber kaum leisten", kritisiert er.

Staatliche Seidenhandschuhe

"Wir haben Anweisungsen gegeben, dass entschieden gegen jeden vorgegangen wird, der die Vorhaben von Addax behindert", sagte Gibril Mohamed Turay, Polizeikommandant der Region Makeni, während einer Übergabe der Pachtbeträge an die Bauern. Diebe haben in der Region vermehrt Ausrüstung von Addax gestohlen - eine Zusammenarbeit von Polizei und Addax, so Turay, soll dies in Zukunft verhindern. Härtere Töne schlägt Präsident Koroma an: "Wir werden diese Teufel fangen!", sagte er bei einer Ansprache nach dem Diebstahl von Kabeln. 

Der Staat von Sierra Leone hat Addax Bioenergy in einem 400 Millionen Dollar-schweren Memorandum grosszügige Steuergeschenke gemacht und im Austausch eine Verpflichtung zur Abnahme des Addax-Stroms erhalten. Das Unternehmen geniesst einen Verzicht auf die Einkommenssteuer bis 2022, den mehrjährigen Ausfall von Importsteuern und diverse Steuererleichterungen. Addax Bioenergy ist Teil der Holding Addax & Oryx Group, einem Unternehmen des Schweizer Milliardärs Jean-Claude Gandur. Die einzelnen Teile der Holding sind geschickt in Steueroasen verteilt: Von den Britischen Jungferninseln über die Schweiz nach Curaçao, einem autonomen Teil des niederländischen Königreichs in der Karibik. Geleitet wird Addax Bioenergy aus Genf, wo die Unternehmen Addax Bioenergy und Addax Bioenergy Management ihren Sitz haben. 

Steinwurf aus dem Glashaus 

Jörgen Sandström war früher in der schwedischen Botschaft in Russland tätig und hat zuvor unter anderem Projekte des schwedischen Militärs geleitet. Heute ist er Projektmanager bei Addax Bioenergy und arbeitet im Unternehmenssitz in Genf. Die Kritik an Addax hart und vielfältig, so dass man erwarten könnte, dass das Unternehmen gekonnt Stellung zu den Vorwürfen bezieht. Auf mehrere E-Mails des Journalisten antwortete Sandström jedoch mit dem Steinwurf aus dem Glashhaus: "Fragen Sie doch die NGOs, wie viel Strom sie in Sierra Leone produzieren", schreibt er. "Fragen sie die NGOs, wie hoch ihre jährlichen Pachtzahlungen sind!" 

Desweiteren verweist er auf Studien der Welternährungsorganisation und von Biosprit-Lobbyisten und bezeugt, dass sich Addax an internationale Standards und Richtlinien hält. So an jene des Runden Tisches für nachhaltige Biotreibstoffe (RSB), der dem Makeni Projekt auch eine Zertifizierung als "nachhaltig" gewährte. Der RSB ist ein Gremium, welches von der Industrie dominiert wird und so nur minimalste Nachhaltigkeitsstandards fordert - ein typisches Beispiel, wie Unternehmen ihre eigenen sozialen und ökologischen Kriterien gestalten.

"Addax Bioenergy war von Beginn an am Werk der Arbeitsgruppe für Bioenergie und Nahrungssicherheit der FAO beteiligt", schreibt Sandström. "Viele Richtlinien berufen sich auf unsere Erfahrung, so bei Landpachtverträgen, Ernährungssicherheit oder Umwelt- und Sozialthemen." Gewiss ist Addax Bioenergy im Vergleich zu anderen Investoren, die gleich ein halbes afrikanisches Land erstehen wollen, ein vorbildliches Unternehmen. Doch die Kritik ist derart vielfältig, dass man sich fragen kann, ob Addax Bioenergy der richtige Partner ist, um an Richtlinien für Investitionen in Drittweltländern mitzuarbeiten.