Weite Fläche - karges Land

Bei der Arbeit sind Felicitas Flörchinger und Karl Fall, Mitarbeiter der Welthungerhilfe in Nordkorea, meist auf sich gestellt. Die Regierung gestattet den Kontakt zur Bevölkerung nur in eingeschränktem Mass. Für einen funktionierenden Ofen oder Gemüse dürfen die Nordkoreaner nicht mit Worten danken.

Stille muss Felicitas Flörchinger in Nordkorea nicht suchen. Sie ist immer da: Laut gesprochen wird auf offener Strasse nicht, und es sind nur wenige Leute unterwegs. Spaziert die Projektleiterin der Welthungerhilfe durch die Hauptstadt Pjöngjang, in der die Welthungerhilfe ihr Büro hat, schauen die Menschen weg. Die Militärdiktatur hat ein Kontaktverbot zu Ausländern verhängt. 
Wenn Flörchinger mit dem Auto unterwegs ist, fährt sie über verwaiste Straßen. Es gibt zu wenig Benzin in der Volksrepublik, außerdem darf die Bevölkerung  die Städte und Dörfer, in denen sie lebt, nur mit Sondergenehmigung verlassen. Das gilt auch für Flörchinger und ihre Kollegen. „Wollen wir in eines unserer Projektgebiete auf dem Land fahren, müssen wir eine Woche vorher die Erlaubnis beantragen.“ Die Fahrt führt in eine unendlich weit erscheinende Landschaft. Bis zum Horizont kann Flörchinger schauen, nur ein paar astdünne, winzige Bäumchen stehen an der Strecke. „Die Böden sind abgeholzt und ausgelaugt, es ist mühsam, hier etwas anzubauen.“

Über 600 Gewächshäuser gebaut 

„Wir versuchen, eine ausgewogene Versorgung mit Nahrungsmitteln zu erreichen, indem wir die Produktion von Obst und Gemüse in Gewächshäusern vorantreiben“, sagt Karl Fall, der seit über acht Jahren in Nordkorea arbeitet. Über 600 Gewächshäuser hat die Welthungerhilfe in den vergangenen zehn Jahren gebaut. Tomaten, Gurken, Kartoffeln und Erdbeeren gedeihen hier. Ein Teil der Produktion geht an Kindergärten und Schulen, ein Teil an Koreaner, die in den Gewächshäusern arbeiten. In Nordkorea herrscht ein permanentes Nahrungsmitteldefizit.  Das hat seinen Ursprung Mitte der 1990er-Jahre: Die Sowjetunion stellte damals ihre Nahrungsmittelsubventionen ein, gleichzeitig ereigneten sich Naturkatastrophen wie Trockenheit und Überschwemmungen. Bei der folgenden Hungersnot starben vermutlich bis zu zwei Millionen Menschen. Seitdem ist die Welthungerhilfe im Land. „Noch immer werden jährlich zwischen 500 000 und 1,5 Millionen Tonnen Lebensmittel zu wenig angebaut. Die Menschen sind permanent unterernährt“, sagt Karl Fall. 

Nur 20 Prozent der Fläche Nordkoreas sind landwirtschaftlich nutzbar, der Rest besteht aus schwer zugänglichen Bergen und Hügeln. Die Landwirtschaft ist in Kooperativen organisiert. Jede Produktionsgemeinschaft muss ein bestimmtes Soll erfüllen, das in Staatseigentum übergeht und in Form von Nahrungsmittelpaketen an die Bevölkerung verteilt wird. Was über das Soll hinausgeht, darf verkauft werden. „Die Menschen, die auf einer staatlichen Farm arbeiten, können sich gerade so davon ernähren«, sagt Felicitas Flörchinger. „Sie suchen sich in den Hängen Würmer, schälen sich Rinde von den Bäumen oder kochen Suppe aus Blättern. Das essen sie dann.“ 

Um dies zu verhindern, erlaubt die Regierung bedürftigen Familien auf dem Land – oft Ärzten, Krankenschwestern und Lehrern –, jeweils einen Hektar Land zu bearbeiten. „Doch die meisten sind keine Landwirte und scheitern kläglich“, erklärt Flörchinger. In einem Projekt zur nachhaltigen Forstwirtschaft unterstützt die Welthungerhilfe 400 solcher Familien, ihre Ackerflächen zu bebauen. „Wir forsten kahl geholzte Hänge wieder auf – mit Beerensträuchern und wertvollen Bäumen wie Walnussbäumen“, sagt Flörchinger. Da die Menschen im Projekt der Welthungerhilfe gelernt haben, dass sie sich über Jahre hinweg von den Früchten ernähren können, lassen sie das Gehölz auch stehen – anders als den Großteil von Nordkoreas Bäumen, die bereits zu Brennholz verarbeitet wurden. 

Wenn es im Winter eisige minus 20 Grad Celsius sind, gehen die Menschen nachts auf die Felder und fällen sogar frisch gepflanzte Baumsetzlinge. Diese werden zu Brennholz verschürt, obwohl es verboten ist. „Der Baumbestand soll eigentlich geschützt werden. Aber ich würde ihn wahrscheinlich auch fällen, wenn es meinen Kindern kalt wäre«, sagt Flörchinger. Die traditionellen Öfen der Nordkoreaner stinken, qualmen und geben kaum Wärme ab. Die Welthungerhilfe hat Kohle-Sparöfen entwickelt und an Haushalte auf dem Land verteilt. „Sie sind isoliert und ersticken nicht mehr ganze Wohnungen in schwarzem Rauch“, erklärt die Projektleiterin. Beheizt werden sie mit Briketts, produziert in einer Brikettfabrik, die die Welthungerhilfe finanziert. Hier wird minderwertige Kohle zu Briketts mit hohem Brennwert umgewandelt. 8000 Haushalte werden beliefert. »Mit diesem Projekt haben wir den Nagel auf den Kopf getroffen«, glaubt Flörchinger. »Wenn wir kommen, strahlen die Leute übers ganze Gesicht. Und selbst wenn Aufpasser mitgeschickt wurden, trauen sie sich, sich bei uns zu bedanken.“ Welthungerhilfe engagiert sich, um die Selbstversorgung der Menschen zu verbessern. 

Erdbeeren für die Regierung 

Karl Fall freut sich in einem Gewächshaus am Stadtrand von Pjöngjang über lachende Gesichter. Sein Pilotprojekt, eine Kombination aus Fischzucht und Gemüseanbau, hat funktioniert. „In großen Wasserbehältern vermehren wir Catfish. Mit seinem Kot düngen wir das Gemüse“, erklärt er. Zunächst hätten die koreanischen Mitarbeiter kein Gemüse essen wollen, das mit Fischkot gedüngt wurde. „Ich habe alle überredet, mitzumachen und das Gemüse zu essen. Noch besser schmecken der politischen Elite die Erdbeeren. „Sie werden bei Empfängen und zu besonderen Anlässen serviert. Die Regierung kauft sie uns zu guten Preisen ab. Von den Erlösen werden Gewächshäuser für die Bevölkerung unterhalten.“
Abends im Büro der Welthungerhilfe werden sich Karl Fall und Felicitas Flörchinger von ihren Erfolgen erzählen. Sie werden laut sprechen und lachen. Stille hatten sie den Tag über genug. 

 



Länderinformationen

Nordkorea

Knapp 23 Millionen Menschen leben in der Demokratischen Volksrepublik Korea, meist Nordkorea genannt. Seit dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten ist das ostasiatische Land eines der letzten stalinistischen Systeme. Wegen seines Kernwaffenprogramms sowie seiner Menschenrechtsverletzungen ist Nordkorea international in der Kritik. Das Verhältnis zu Südkorea, dem westlich orientierten Staat auf der Halbinsel, ist sehr angespannt. Die Welthungerhilfe arbeitet seit 1997 in Nordkorea. Seitdem hat sie circa 60 Projekte in den Bereichen  Nahrungsmittel- und Hilfsgüterverteilung sowie Wasserversorgung durchgeführt. Die ersten Projekte waren reine Nothilfemaßnahmen: Nahrungsmittel für Kinder, Kohle für Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen. Seit 1999 konzentriert sich die Welthungerhilfe auf den Wiederaufbau und die Sicherung der Ernährung. 

Daniela Ramsauer ist freie Journalistin in Nürnberg. 

Quelle: www.welthungerhilfe.de
Bild: © Aurore Belkin/Welthungerhilfe 
Weitere Informationen: www.welthungerhilfe.de/nordkorea-gewaechshaeuser.html