Ich gebe zurück, was ich erhalten habe

Herr Hohl, Sie haben vor sieben Jahren Vertretern der Stiftung Aravind, die in Indien jährlich 300‘000 Operationen am Grauen Star durchführt, eine der Schlüsseltechnologien zum Bau von Injektionsspritzen, mit denen sich flexible künstliche Linsen rasch und komplikationsfrei ins Auge einführen lassen, überlassen. Dabei hätten Sie den Indern diese Systeme für gutes Geld auch komplett liefern können.Weshalb dieser Gratis-Know-Transfer?

 

Es war die Arbeit dieser Stiftung, die mich sehr beeindruckt. Der Graue Star ist in Indien eine Volkskrankheit. Er lässt sich mit einem einfachen Eingriff sehr erfolgreich behandeln. In Indien kostet die Operation 50 Dollar, ein Betrag, den sehr viele Arme nicht aufbringen können. Hier setzt die Stiftung an. Sie verlangt für die Operationen Geld nur von jenen, die es sich auch leisten können. Alle andern, und das sind rund zwei Drittel der Patienten, werden gratis behandelt. Da liegt es auf der Hand, dass möglichst effizient und günstig gearbeitet werden muss. Mit unserer Technologie leisten wir dazu einen Beitrag so wie viele Ärzte, die dort für eine Zeit gratis operieren.


Was ist denn daran so besonders?

Es geht um einen winzigen Stempel aus Silikon, mit dem sich die flexiblen Linsen ins Auge eindrücken lassen. Da steckt sehr viel eigenes technisches Know-How drin. Nicht überlassen haben wir den indischen Kollegen eine weitere Eigenentwicklung, eine Kartusche, in der die Linie gepresst und durch eine Kanüle geführt wird. Diese verkaufen wir ihnen zu einem sehr günstigen Preis, der aber noch etwas über unseren Selbstkosten liegt. Zudem beziehen wir von der Produktionsfirma von Aravind die Injektionsspritzen aus Kunststoff, ein Standardprodukt. So haben wir beide etwas davon.


Vom Silikonstempel hat Aravind in der Zwischenzeit zwei Nachbauten auf den Markt gebracht. Hat Sie das nicht geärgert?


Nein, auch wenn das uns eine Umsatzeinbusse von einer halben Million brachte. Das können wir bei einem Gesamtumsatz von 34 Millionen verkraften. Ich hatte mein persönliches Schlüsselerlebnis schon vor Jahren auf einer Messe, als ein Vertreter eines indischen Betriebes mir ein Injektionsgerät präsentierte, das unserem eigenen aufs Haar glich. Er war stolz, ich etwas indigniert über seine Direktheit. Aber das ist letztlich eine Frage unterschiedlicher Mentalitäten. Unsere Technologie ist vielfach nachgebaut worden, nicht nur in Indien. So läuft das im Wirtschaftsleben. Ich habe damit kein Problem. Die Inder haben übrigens beide Nachbauten wieder vom Markt nehmen müssen. Sie haben die Technik noch nicht im Griff. Aber das ist nur eine Frage der Zeit.


Gibt es keinen Patentschutz?

Nein. Das technische Grundprinzip ist schon länger beschrieben worden. Hier gewinnt, wer in der Lage ist, stets noch etwas zuzulegen.
Was geschieht, wenn die indischen Kollegen, die Sie gefördert haben, technisch auf Augenhöhe sind?
Der Tag wird kommen, über kurz oder lang. Es wird für die Millionen von Menschen, die in Indien an Grauem Star leiden, ein guter Tag sein, und natürlich auch für die produzierenden Firmen, die dank niedriger Gestehungskosten dann auch auf den Exportmärkten einen echten Wettbewerbsvorteil haben werden.

Wird es ein schlechter Tag für Medicel sein?

Nein, vorausgesetzt, es gelingt, mit innovativen Produkten das Image einer technisch führenden Firma weiter zu pflegen. Und diese Aufgabe wird nicht leichter werden. Ein grosser technischer Durchbruch ist nicht in Sicht. Der technologische Graben, der uns von Entwicklungs- und Schwellenländern trennt, ist zum schmalen Spalt geworden. Aber ich bin auch überzeugt, dass gerade Märkte wie Indien und China mit ihren rasch wachsenden Mittelschichten sehr gute Perspektiven für technologiegetriebene Firmen wir Medicel bietet. Wer es sich leisten kann, wird auf das Original setzen.


Sie haben Ihre Firma vor drei Jahren für 100 Millionen Franken an die britische Investmentfirma Halma plc verkauft, im März schieden Sie als Geschäftsführe ganz aus dem Unternehmen aus. Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft von Medicel?

Ich hätte die Firma nie verkauft, wenn ich nicht sicher gewesen wäre, dass sie in verantwortungsvolle Hände übergeht. Inzwischen ist ein Erweiterungsbau spruchreif. Das ist das stärkste Bekenntnis zu Medicel.

Was wird aus Partnerschaft mit Aravind?

Die geschäftliche Bindung bleibt. Und persönlich fühle ich mich der Stiftung und ihrer Philosophie, das Geld für ihre Leistung nur von jenen zu nehmen, die es auch haben, um es jenen zu geben, die es nicht haben, sehr verbunden.


Sie haben es vom Feinmechaniker zum Multimillionär gebracht. Was machen Sie mit dem vielen Geld?

Ich werde es verwenden, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben von dem, was mir ermöglicht wurde. Was es genau sein wird, weiss ich noch nicht. Ich nehme nach meinem Ausstieg eine Auszeit.


Spielt Indien in Ihren Plänen eine Rolle?

Ich könnte mir vorstellen, als Berater für die Aravind-Stiftung ohne Honorar tätig zu sein, um mein Know-How einzubringen. Wenn ich nur an deren unprofessionellen Auftritte an internationalen Fachmessen denke, sehe ich viel Arbeit auf mich zukommen.


Jetzt sprechen Sie von Ihrer Person. Und das viele Geld?

Es wird fliessen, weniger für Karikatives als für soziale Investitionen, die Mensch und Gesellschaft weiterbringen. Gut möglich, dass es in Indien oder auf dem afrikanischen Kontinent landen wird, um beizutragen, möglichst vielen das Augenlicht wieder zu schenken.

Zur Person:
Emil Hohl entwickelte in Eigenregie ein technisches System zum Einführen von flexiblen künstlichen Linsen ins Auge zur operativen Behandlung des Grauen Stars. Es hat die Operationstechnik revolutioniert und die Risiken minimiert. Der indischen Stiftung Aravind, die sechs Kliniken betreibt, hat er Teile des Know-Hows gratis überlassen. Nach dem Verkauf seiner Firma für 100 Millionen Franken will er das Geld als sozialer Unternehmer einsetzen.